Was ist passiert?

Anm.: Text wurde bereits am 05.01. auf Indymedia und knack.news veröffentlicht. Im Teil weiter unten wird sich mit Solidarität und Täterschaft und der Begründung des Gerichts zur Anklageschrift auseinandergesetzt.

Freiheit für Benni – U-Haft und Hausdurchsuchungen im Kampf gegen Repression

Heute am 05. Januar wurde unser Gefährte Benni in die Untersuchungshaft der JVA Leipzig geschickt.

Was ist passiert?

Am 23.11.2023 haben die Bullen mal wieder eine großangelegte Razzia gegen die autonome Szene in Leipzig durchgeführt (1). Es hat nicht gereicht Wohnungen auseinander zu nehmen und wegen Lapalien DNA zu fordern. Dieses mal erhöhen sie den Druck noch weiter indem sie jeden eh schon beschissenen Gerichtsprozess in Zukunft noch angsteinflößender machen. Vor dem Saal des Landgerichts in dem der Luwi71-Prozess (2) verhandelt wurde, warteteten uniformierte “Elite-Polizisten” in Begleitung des ekelhaften Schmierblatt-Schreiberling Karl Keim (3). Das war bestimmt als Machtdemonstration nach den Krawallen am sogenannten Tag-X im Juni gedacht. Offizielles Ziel dieses Spektakels waren Hausdurchsuchungen und von beiden Angeklagten erneut DNA zu entnehmen sowie den Genossen Benni in U-Haft zu stecken. Auch bei einer dritten Person wurde die Wohnung durchsucht. Hier haben sie erfolglos nach Pyro, schwarzen Klamotten und Zeitungen mit Bastelanleitungen gesucht und die gut verschlüsselten technischen Geräte mitgenommen. Die Vorwürfe bei den drei Personen hängen dabei nicht zusammen. Während es bei zwei Leuten um getrennte Vorwürfe im Kontext der Geschehnisse nach dem Urteil im Antifa-Ost-Verfahren geht(4),wird der Gefährtin eine Brandstiftung an DHL-Autos als Reaktion auf Hausdurchsuchungen im Februar 2023 (5) vorgeworfen. Das Zusammenlegen der Maßnahmen wird wohl eine Bündelung von Kräften und ein angestrebtes größeres Bedrohungsszenario gewesen sein. 

Benni, der zu U-Haft verdammte Genosse, war an dem Tag nicht vor Gericht erschienen, was sich als großer Glücksfall herausstellte. Er hat sich heute am 05.01.24 selbstständig gestellt. Von freiwillig kann hier aber nicht die Rede sein, sondern viel mehr von der bitteren Erkenntnis, dass die Freiheit schon aufhört, sobald der Name auf der Haftanordnung steht  – ob in der verurteilungsfreien Strafe der Untersuchungshaft, durch einen offensichtlich politisch erzwungenen Prozess oder im Freiluftgefängnis des Exils.

TAG-X.

Benni wird vorgeworfen am 3.6. auf dem Alexis-Schuhmann-Platz einen Brandsatz auf Einsatzkräfte geworfen zu haben. Die feuerfesten Uniformen von zwei Beamten des berüchtigten USK Dachau sollen dabei Feuer gefangen haben. Außer einem gehörigen Schrecken wurde hierbei aber niemand verletzt. Die polizei-intern nur “Koksies” genannten USK-Einheiten fallen gerne mal durch Volksverhetzungs- und Vergewaltigungsskandalen auf und gelten als nicht grade zimperlich (6). 

Die Tat begründet laut den Ermittlungsbehörden den Vorwurf des versuchten Totschlags. Ihre Indizien beruhen auf dem ganzen Arsenal repressiver Methoden, inklusive Durchsuchung bei den Eltern, dem Arbeitsplatz, linken  Journalist*innen und der 12-stündigen Einkesselung von über 1000 Menschen (7).

Der Tag-X um den es geht, war die Mobilisierung von Antifaschist*innen am Samstag nach dem Urteil des politisch geführten Antifa-Ost-Verfahrens in Leipzig zu demonstrieren um die eigene Solidarität zum Ausdruck zu bringen und autonomen Antifaschismus zu verteidigen. Die vier Angeklagten wurde zu langen Haftstrafen unter fadenscheinigen “Anhaltspunkten” verurteilt und das teilweise ohne eine direkte Beteiligung nachweisen zu können (8).

Scheinbar war den Repressionsbehörden der Stadt, Gerichte und Polizei bewusst, was sie die letzten Jahre verbrochen hatten und Panik machte sich breit. Eine hetzerisch vor sich hergetragene Sorge, vor den wütenden Antifaschist*innen und ein peinliches Rumheulen, darüber wie ohnmächtig die tausendfachen Polizeikräfte seien, wenn sie die demokratischen Versammlungsrechte einhalten müssten. Dann wären die übermächtigen Autonomen nicht zu kontrollieren, wie am 18.09.21 oder am 12.12.2015.  Da ist sicherlich auch nicht alles falsch dran. Die Wut war jedem bekannt, der die letzten Jahre hier mitgeschnitten hat und ja das wäre schwer zu kontrollieren gewesen. Das reicht aber offensichtlich schon als Ausrede, die bürgerliche Demokratie für ein Wochenende abzuschaffen. Das anonym veröffentlichte Aufrufe zur Legitimation genutzt wurden, sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie die Demo sowieso verboten hätten, wie bereits unter anderem bei der Antirepressionsdemo “Alle zusammen – Autonom, Widerständig, Unversöhnlich!” am 23.10.21 geschehen (9).

Als Reaktion auf das Urteil im Antifa Ost Verfahren gab es sowohl am Mittwoch und Freitag vor dem großen Tag-X unkontrollierbare Momente in denen die Polizei mal überrascht war, mal ordentlich was abbekommen hat und manchmal auch einfach die Menge sich abreagieren konnte. Der lange geplante Kessel am Samstag hat gezeigt, dass es ihnen eh hauptsächlich darum ging diesen großmobilisierten Massenkrawall zu verhindern und so viele Menschen wie möglich fest zu halten, zu traumatisieren und mit Repression zu überziehen (10).

Weiter geht’s!

Die Mobilisierung zu Tag X war gerechtfertigt. Auch wenn der Preis des Tages hoch ist, heißt das nicht, dass man es nicht hätte probieren sollen. Jahre der anziehenden Repression und des im Alltag spürbares Rechtsruck durch die Gesellschaft und ihre Institutionen verlangten nach einer Antwort oder zumindest dem Versuch, dem ganzen etwas entgegen zu setzen. Alle drei Monate (meist illegale) Schikane-Hausdurchsuchungen in Connewitz , die quasi jede*n von uns zu indirekt Betroffenen machen. Das Gefühl mit der Bekämpfung der faschistischen Umtriebe alleine zu sein und dann noch mit Observation und Knast “belohnt” zu werden. Es ist traurige Realität, dass der Staat neben der alltäglichen Organisierung unserer Ausbeutung mit der Lockerung des §129 nun auch das letzte was uns bleibt bestrafen kann: Solidarität und Freund*innenschaft. Wer da keine Wut spürt oder einfach weggucken kann…

Es ist schön zu sehen, dass bereits einige Zeichen der Solidarität in die Welt geweht wurden. Der Kampf geht weiter, auch in Zeiten von Verfolgungsdruck und U-Haft. Gemeinsam gegen ihre Gesellschaft der Ausbeutung, Knüppel, Grenzen und Knäste!

Freiheit, Glück und Kraft den Untergetauchten!

Liebe und Vetrauen an alle Antifaschist*innen!

Freiheit für Benni!

Infos zum Spendenkonto und Anschrift für Briefe folgen in Kürze. Ihr erreicht uns unter: free_benni(at)riseup.net.

1 https://knack.news/7433

2 https://leipzigbesetzen.noblogs.org/

3 https://m.bild.de/regional/leipzig/leipzig-news/leipzig-razzien-gegen-linksextreme-86196818.bildMobile.html

4 https://tagxantifaost.noblogs.org/

5 https://knack.news/4816

6 https://amnesty-polizei.de/polizei-skandal-in-muenchen/

https://www.br.de/nachrichten/bayern/polizist-wegen-vergewaltigung-verurteilt-revision-beantragt

https://www.sueddeutsche.de/bayern/kriminalitaet-muenchen-prozess-um-polizeiskandal-angeklagter-bestreitet-vorwuerfe-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230308-99-878668

7 https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/razzia-polizei-linksextremismus-tag-x-djv-kritik-100.html

8 https://www.soli-antifa-ost.org

9 https://allezusammen.noblogs.org/

10 https://www.freexantifas.org/

Solidarität und Täterschaft

Der Text wurde am 31.08.2024 auf Indymedia und knack.news veröffentlicht

Einleitung:

In den letzten Jahren fand in großen Teilen der radikalen Linken eine verstärkte Auseinandersetzung über patriarchale Strukturen, Männlichkeit und sexualisierte Gewalt statt. Vor allem durch das mutige Handeln vieler Betroffener, die über ihre Erfahrungen gesprochen haben und Übergriffe öffentlich machten wurde unübersehbar, wie sehr auch linke Zusammenhänge strukturell und auf verschiedensten Ebenen von patriarchalen Strukturen geprägt sind.

Im Kontext von Antirepressionsarbeit ist die Auseinandersetzung um den Umgang mit patriarchaler Gewalt unter anderem im Antifa Ostverfahren geführt worden. Neben der patriarchalen Gewalt in linken Strukturen stellten sich Fragen zu daraus folgenden Themen wie Täterschutz, Transparenz und die Frage nach einem richtigen Umgang.

Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben damit verbundene Themen ins Blickfeld vieler Gruppen geholt. Trotzdem gibt es viel Unklarheit und unterschiedliche Standpunkte zum Umgang mit patriarchaler Gewalt im Kontext der Solidaritätsarbeit.

Als Soligruppe #FreeBenni setzen wir uns mit dem eigenen Handeln in Bezug auf diese Themen auseinander. Auch Benni war in der Vergangenheit übergriffig. Wir wollen hiermit unseren Stand transparent machen, sowie die Diskussionen und Gründe die zu diesem Text geführt haben.

Da die Auseinandersetzung längere Zeit dauerte, sind wir in dieser Situation bis jetzt nicht öffentlich transparent gewesen. (Hierzu weiter unten mehr.)

Informationen zu Täterschaft und dem Prozess

Benni hat sich vor etwa zwei Jahren übergriffig verhalten, auf die Schilderung der Gewalthandlungen werden wir nicht näher eingehen und stattdessen den Aufarbeitungsprozess beschreiben. Die intensive Phase der Auseinandersetzung dauerte etwa ein Jahr und wurde zusammen mit einem kleinen Kreis aus Personen aus seinem Umfeld geführt. Zusätzlich gab es Treffen mit Personen, die nicht direkt in den Prozess involviert waren, um eine kritische Außenperspektive einzuholen und die Arbeitsweise und Fortschritte zu reflektieren. Er hat sich innerhalb des Prozesses sowohl mit den konkreten Situationen, in denen er Gewalt ausgeübt hat, als auch mit seiner cis-männlichen Sozialisation und den daraus folgenden patriarchalen Verhaltensweisen auseinandergesetzt.

Die Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme von gewaltvollen Handlungen ist immer ein lebenslanger Prozess, aber die intensive Aufarbeitung der konkreten gewalttätigen Situation ist (für die betroffene Person) abgeschlossen. Unsere Einschätzung ist, dass Benni sehr viel gelernt und trotzdem auch weiterhin noch sehr viel zu lernen hat. Innerhalb der Auseinandersetzung gab es Höhen und Tiefen, aber grundsätzlich hat Benni, auch mit Unterstützung seines Umfeldes, die von ihm ausgehende Gewalt anerkannt, die tiefer liegenden Verstrickungen erkannt und Verantwortung für sein Handeln übernommen. Wir schätzen daher den Verlauf des Prozesses im Großen und Ganzen als positiv ein. Sowohl sein Umfeld als auch die betroffene Person sind mit dem Ausgang des Prozesses soweit zufrieden.

Reflektion des eigenen Umgangs

In der Soligruppe, als auch im politischen Umfeld von Benni, gab es Wissen über den Übergriff. Auch der erfolgte Prozess, war den Menschen in der Soligruppe, in unterschiedlichen Maße bekannt. Trotzdem oder vielleicht genau deswegen wurde das Thema aber nicht kollektiv besprochen. Wir wussten ja davon, die Beschäftigung mit dem Übergriff war abgeschlossen, die betroffene Person, mit der wir im engen Austausch stehen, ist mit dem Ausgang des Prozesses zufrieden. Darüber hinausgehende Beschäftigungen mit Männlichkeit wurden und werden von Teilen des Umfelds eingefordert, u.a. die Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen im Knast.

Als dann auf Indymedia Kommentare unter einem Text von uns auftauchten, die in Frage stellten, ob “der Täter Benni” unterstützt werden und Solidarität erhalten solle, wurden wir mit dem Übergriff wieder konfrontiert. (Die Kommentare wurden recht schnell gelöscht, ohne das wir damit etwas zu tun hatten.) In den Kommentaren wurde gefragt, warum Benni, wenn er doch ein Täter sei, trotzdem unterstützt wird. Dazu sei, bis zur Klärung der Umstände, jegliche Unterstützung einzustellen. Auch solle der Soliaufruf bis auf weiteres gelöscht werden. In einem weiteren Kommentar wurde sich eine ´Auseinandersetzung mit den Tatvorwürfen durch das Umfeld ´gewünscht´. Versehen waren diese mit feministischen Parolen und Empörung darüber, dass die Kommentare verschwanden. Verschiedene Gefühle/Reaktionen holte diese bei uns hoch: Zuerst viel Verärgerung und Unverständnis über die Kommentare. Ohne Rücksprache oder Kontaktaufnahme mit der betroffenen Person oder der Soligruppe das ins Internet zu schreiben. Ärger, dass sich irgendwer über den Willen und die Konsequenzen, die das für die betroffene Person hat, ´einfach´ hinweggesetzt hat. Sorge um die betroffene Person, über Retraumatisierung. Bei der betroffenen Person holte dies, ohne es sich aussuchen zu können, ohne Vorwarnung und gegen deren Willen die Geschehnisse wieder hoch.

Auch Panik etwas falsch gemacht zu haben oder von einem Übergriff nicht mitbekommen zu haben, wo sich nun die betroffene Person über die Indy-Kommentarspalte meldet. Wir sind dem nachgegangen, ob es uns Unbekannte weitere Fälle gab. Dies bestätigte sich jedoch nicht.

Auch wenn wir Verständnis für Misstrauen gegenüber Soligruppen und Umfelder haben (die auf Grund von vergangenen und öffentlich gemachten Erfahrungen existieren und berechtigt sind), können wir es nicht nachvollziehen, warum nicht erst mal der Kontakt gesucht wird. Auch der kommentierte Artikel endete mit dem Angebot Nachfragen an die Mailadresse der Soligruppe schreiben zu können. Sollte es keine oder ignorante Antworten geben, dann spricht sicherlich nichts gegen eine Veröffentlichung.

Gleichzeitig waren wir uns mit der betroffenen Person einig, dieses Thema nicht über Indy-Kommentare im Internet klären zu wollen. Daher haben wir bei folgenden Veröffentlichungen die Kommentarfunktion ausgeschaltet.

Im folgenden internen Austausch über den Umgang, gab es die Tendenz es nicht öffentlich zu machen. Weil der Prozess abgeschlossen ist und dies gegen den Wunsch der betroffenen Person war. Auch gab es die Feststellung, dass wir darüber vorher hätten reden sollen, uns aber vermutlich nicht anders entschieden hätten.

Also was tun? Wir wollten es nicht totschweigen, aber auch nicht so (stark) in die Öffentlichkeit tragen. Erst gab es die Idee, hierzu zeitnah einen Text der Soligruppe zu schreiben. Diesen bei (Info-)Ständen auszulegen oder auf Nachfrage herauszugeben. Auch sollte Benni sich dazu verhalten und einen Text zu seiner Täterschaft schreiben. Also haben wir Benni aufgefordert, uns aus dem Knast, einen Text zu schreiben, in dem er sein Verhalten und seinen Umgang damit offen macht und reflektiert. Mit diesem Text wollten wir dann weiterarbeiten und einen längeren Text schreiben. Perspektivisch dann einen weiteren Text darüber schreiben, was aus unserer Sicht schwierig ist an der öffentlichen Verhandlung. Sowohl die Idee, einen Text offen auszulegen, als auch diesen nur auf Nachfrage herauszugeben, haben wir jedoch wieder verworfen.
War die erste Idee uns zu offen in der Aushandlung zwischen vollständiger Öffentlichkeit und verschweigen (was wir beides zu dem Zeitpunkt nicht wollten), war die zweite Idee dann wiederum zu versteckt. Denn nur wer davon wusste konnte uns ja darauf ansprechen. Parallel hierzu wurden wir von Strukturen und Einzelpersonen auf die Kommentare angesprochen und stellten hierbei auch fest, dass sich Gerüchte verselbstständigt haben.

Intern ging die Auseinandersetzung mit der Thematik natürlich, individuell wie kollektiv, weiter. Was wäre unser Anspruch ohne Druck von außen? Immer klarer wurde uns, dass wir es versäumt haben vorher über das Thema zu sprechen.

Mit der weiteren Auseinandersetzung entstand dann die Idee, stattdessen einen Beitrag zu veröffentlichen über Solidarität und Täterschaft, um über unsere Diskussion und Erfahrungen zu reflektieren und in dem Zuge auch über B.s Verhalten zu informieren. Auch eine weitere Auseinandersetzung mit ähnlichen Themen soll stattfinden. Zudem soll Benni in einem eigenen Text das Themenfeld bearbeiten.


Über Transparenz

Wir sind uneins geblieben, ab wann kommuniziert werden muss oder sollte und wie das Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der (direkt) betroffenen Person und anderer vom/n Patriarchat/patriarchalem Verhalten Betroffener, zu werten ist. (Wenn wie in diesem Fall, die betroffene Person, sich keine öffentliche Auseinandersetzung gewünscht hatte.) Es gibt aber ja Leute, die überhaupt keinen Bock haben, Leute die übergriffig waren, auch nur irgendwie zu unterstützen.

Rückblickend haben wir uns schlicht darauf ausgeruht, dass die betroffene Person das nicht in der Öffentlichkeit verhandeln wollte. Wir haben damit die Verantwortung und die politische Entscheidung, die diese beinhaltet einfach der betroffenen Person überlassen. Wir hätten uns stattdessen erst mal damit beschäftigen sollen, was wir für einen richtigen Umgang halten und danach mit der betroffenen Person gemeinsam überlegen sollen, was ihre Bedürfnisse und Ansprüche sind, anstatt sie alleine mit der Entscheidung zu lassen . Zusammen hätten wir uns die Frage stellen können, ob es vorstellbar wäre, entgegen der ersten Gefühle, in die Öffentlichkeit zu gehen und was es dafür für die betroffene Person brauchen würde. Für eine Verantwortungsübernahme des Umfeldes ist es notwendig, dass sich auch schwierige Fragen gestellt werden, um aktiv daran zu arbeiten eine Haltung zu entwickeln, um solidarisch mit der betroffenen Person zu sein, sie mit dem Umgang und komplizierten Situationen aber nicht alleine zu lassen.

Auch erhalten Leute, die Repression wie Knast erfahren, aktiv Solidarität der Szene. Es kann dabei vorkommen, dass diese innerhalb der Szene idealisiert werden. Damit rückt eine Person, unfreiwillig, in das Rampenlicht einer politischen Auseinandersetzung. Dies ändert die Ansprüche an die Person, evtl. auch hinsichtlich einer Transparenz. Inwieweit das Interesse, an ansonsten intern gebliebenen Informationen gerechtfertigt, eine Rolle spielt oder zu werten ist, bleibt eine komplizierte und sicherlich immer wieder unterschiedlich zu beantwortende Frage.
Uns ist bewusst, dass die Einschätzungen des Nahumfeldes (zu dem wir ja nun auch gehören) kritisch zu hinterfragen sind. Auch ist es ein Problem, dass für Außenstehende schwer nachvollzogen werden kann, ob ein Prozess ´gut´ war bzw. die Ansprüche an einer Auseinandersetzung mit Täterschaft unterschiedlich definiert werden.

Was spricht für eine Veröffentlichung

Nur durch das Wissen über das übergriffe Verhalten ist es Außenstehenden möglich, selbst zu entscheiden, ob das ihre Solidarität und Unterstützung beeinflusst.

Angesichts der von uns wahrgenommen Relevanz des Themas Täterschaft und Solidaritätsarbeit erscheint uns ein Beitrag hierzu Sinnvoll. Unabhängig davon ob wir eine Transparenz für notwendig halten oder nicht. Außerdem finden wir es gut, wenn auch über Prozesse berichtet wird, die (aus Sicht der Betroffenen und des Umfeldes) erfolgreich verlaufen sind. Auch widerspricht eine Veröffentlichung, inzwischen nicht mehr, dem Wunsch der Betroffenen. Somit haben wir uns dazu entschlossen diesen Text zu schreiben und unsere Überlegungen mit euch zu teilen.

Offen bleibt für uns die Frage, wie (gut) eine eine Transparenz über Täterschaft und Prozesse hergestellt werden kann, die nicht das Ziel eines Outcalls verfolgt. Dieser Text ist ein Versuch sich dem anzunähern, ohne den Anspruch zu erheben, hierbei erfolgreich zu sein.


Den mit den Indymedia Kommentaren gegangenen Weg finden wir, auch wenn dieser der Anstoß unserer öffentlich Beschäftigung damit ist, auf mehreren Ebenen problematisch. Ein ´Outing´ (wie einzelne der Kommentare überschrieben waren), ohne Rücksprache mit der betroffenen Person und gegen deren Willen, ist nicht so cool. Das Einfordern einer Aufklärung über das Internet, warum Benni unterstützt wird, ohne vorher Kontakt (mit der betroffenen Person oder Soligruppe) aufgenommen zu haben, erschließt sich uns nicht. Vielleicht gibt/gab es ja Gründe dafür, dass dies nicht ins Internet gestellt wurde und vielleicht könnten diese ja sogar auch nachvollziehbar sein. Warum wird dann nicht nachgefragt?

Den geäußerte Wunsch, dass es eine Auseinandersetzung im Umfeld geben solle, finden wir richtig und wichtig. Eine solche gab und gibt es auch und stellt für uns eine Grundlage unserer Solidarität dar.


Für Rückmeldung und Kritik schreibt uns gerne an free_benni@riseup.net.

Falls du die Person(en) bist, die die Kommentare geschrieben haben/hat, nehme gerne Kontakt mit uns auf und schreibe uns was deine Gedanken hierzu waren und/oder ob du/ihr uns (noch) was mitteilen magst.

Höchstes Gericht in Leipzig beschließt: Benni ist nicht der Tatverdächtige

Letzte Woche, am 27.08.24 kam die nächste alles verändernde Nachricht vom Landgericht Leipzig: 

Alle Anklagepunkte bis auf den Landfriedensbruch wären haltlos. Die Indizien reichen nicht aus, um die Anklagepunkte des versuchten Mordes, Körperverletzung etc. aufrechtzuerhalten und die Anklage darf demnach nur für Landfriedensbruch am Amtsgericht eröffnet werden. Das ist derselbe Vorwurf, der alle Eingekesselten betrifft, zu denen Benni auch gehörte. Hierbei geht es nicht um individuelle Tathandlungen sondern lediglich um die vermeintliche moralische Unterstützung der gewalttätigen Masse durch Tragen von schwarzen Klammotten. Ob dies haltbar ist, wird sich in einer Verhandlung zeigen, aber fest steht, dass alles was hier rauskommen könnte, Benni schon abgesessen hätte, mindestens.

Die Staatsanwaltschaft hatte Benni mit konstruierten und vor allem politisch ausgelegten (vermeintlichen) Beweismitteln als Tatverdächtigen ausgemacht. Trotz Selbststellung und den offensichtlichen Zweifeln an der Argumentation der Soko LinX haben sich sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Ermittlungsrichterin dafür entschieden, Benni fast 6 Monate lang in Untersuchungshaft zu stecken und sich mit der Anklageschrift gehörig Zeit zu lassen. Da diese Anklage so maßlos übertrieben ausfiel, mit zwei-fach versuchtem Mord und 18-fach versuchter Körperverletzung, ging die Zuständigkeit an eine hohe Schwurkammer des Landgerichts. Diese hat schnell entschieden, dass die Untersuchungshaft unbegründet ist. Danach haben sie zehn Wochen lang intensiv die Akten studiert und mit einer 40-seitigen Begründung klargestellt, dass die Indizienkette offensichtlich willkürlich ist.

So gibt es immer wieder Widersprüche in den Aussagen der Tatbeobachter*innen, die selbst “zwei völlig unterschiedliche Personen” sicher als dieselbe wiedererkennen wollen. Unterbrechungen in der Befragung führen ganz zufällig zur Wiederrufung von Aussagen. Mal behaupten sie, dass eine Jeans und mal, dass eine dunkle Hose getragen worden sein soll. Das von dem Einen als ein auffälliges Merkmal beschriebenes orangefarbenes Kapuzenband wird von dem Anderen nicht erwähnt. Dabei geben sie immer wieder selbst an, dass eine eindeutige Zuschreibung und Verfolgung von Personen an diesem Tag nicht möglich war. Eine schwarze Jacke mit organgefarbenen Bändeln wurde zudem nicht nur einmal, sondern von mindestens 30 Personen getragen. Ein Tatbeobachter beschreibt, er habe das Gefühle gehabt, “dass an dem Tag ein Modell gekauft worden sei”. Das Gericht verweist an der Stelle auf einen Beschluss von 2019 des Landgerichts Berlin, nach dem schwarze Jacken, dunkle Hosen, Standardturnschuhe und Handschuhe nicht als individuelle Merkmale ausreichen, um einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen. Auch die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Gangbildanalysen sind laut Gericht “nur sehr eingeschränkt nachvollziehbar” und ergaben jeweils unterschiedliche Körpermaße mit einem Abstand von bis zu 13cm. Eine Kripobeamtin will außerdem Benni als vermeintlichen Super-Recognizerin anhand von Augenbrauen, Beinstellung und einer schlanken Gestalt erkannt haben. Eine Kenntnis darüber, ob sie überhaupt Super-Recognizerin ist, besteht jedoch nicht und selbst das Gericht betont, dass Super-Recognizing als Konzept überhaupt nicht wissenschaftlich belegt ist. Hinzukommt, dass ein in der durchsuchten Wohnung gefundener Bunsenbrenner von der Staatsanwaltschaft als vermeintliche “Tatwaffe” zurechtgelegt wird, der jedoch eine andere Farbe und ein völlig anderes Ernscheinungsbild als auf den Vergleichsfotos aufweist. Die Staatsanwaltschaft scheint sich in ihren unhaltsamen Mutmaßungen also gehörig verannt zu haben.

Gegen diese ganz klare Absage an die politisch motivierten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat diese jetzt ohne Begründung offiziell Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt. Mit einer Entscheidung ist vermutlich in den nächsten Monaten zu rechnen. Es reicht offenbar nicht, unserem Freund und Gefährten ein halbes Jahr seines Lebens zu rauben. Sie wollen ihm auch noch die Zeit in Freiheit durch Jahre der Unsicherheit und lange, teure Gerichtsprozesse stehlen. Das Ganze nur um an ihren so absurden wie gefährlichen Konstruktionen festzuhalten, um die eigene Gewalt an Tag-X öffentlich hinter politisch instrumentalisierten Mordanklagen zu verstecken und gleichzeitig Antifaschist*innen und ihre Umfelder ohne Urteil zu bestrafen.   Manchmal wäre es würdevoller, klare Zurechtweisungen anzunehmen, gerade wenn sie von den eigenen Justiz-Kolleg*innen kommen.

Wir als Soligruppe sind erstmal einfach glücklich, dass ein zügigeres Ende der Tortur zumindest in Aussicht ist. Davon kriegt Benni das halbe Jahr zwar auch nicht zurück, aber der Blick kann wieder nach vorne gerichtet werden. Es wird mal wieder offensichtlich mit was für einem wahnhaften Eifer sich die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft mit Soko-Linx-Unterstützung auf die autonome Szene in Leipzig stürzen. Wo etwas nicht passt, wird es passend gemacht. Wenn sich Menschen erfoglreich der Strafverfolgung entziehen, werden willkürlich Menschen gekesselt oder ihre Häuser durchsucht. Auch jetzt reicht das Urteil eines der höchsten Gerichte Sachsens nicht aus, sondern diese Farce wird uns potentiell noch lange beschäftigen. Wir können und wollen auf nichts in diesem Justizapperat vertrauen und müssen auf uns selbst zählen. Egal was noch an Wendungen in diesem Verfahren kommt, wir bleiben an Bennis Seite und stehen weiterhin solidarisch mit allen verfolgten Antifaschist*innen.

Freiheit für alle Gefangenen!